Die Polenverklärer

Liebe CPV-Fans,

die momentane Lage in Polen zwingt uns zum Handeln. Das Absurde ist in Polen die Normalität geworden. Eine Normalität, die keiner mehr versteht.

Mit „Die Polenverklärer“ – Satire Show und Publikationen – versuchen wir das Absurde zu kommentieren. Wir kommentieren die einzelnen Bewegungen der polnischen Regierung und der Zivilgesellschaft, sachlich und satirisch zugleich. Darüber hinaus stehen wir Euch zur Verfügung, wenn Ihr Fragen oder Sorgen habt, was mit Polen passiert und passieren wird.

Beispiele:

Teil. 1 Das Erwachen der Macht

Als im Dezember 2015 die “tageszeitung”  den polnischen Politiker Jarosław Kaczyński von der PiS-Partei auf die Titelseite mit der Überschrift „Das Erwachen der Macht“ setzte, musste ich kurz auflachen. Kurz danach war ich in dem neuen Star Wars Streifen und musste an das Foto denken, als die demolierte Maske von Lord Darth Vader kurz zu sehen war. Auch Kaczyński hat seine Maske endgültig abgelegt, ohne allerdings von der bösen auf die gute Seite der Macht zu wechseln. Noch im Wahlkampf im letzten Jahr war er kaum zu sehen. Manche dachten an eine geheimnisvolle Krankheit, die ihn an Bett fesselte und von Bildschirmen und Zeitungen verschwinden ließ.  Manche hofften es sogar. Doch als die geplante Premierministerin Beata Szydło kurz im Urlaub war, stellte Kaczyński kurzer Hand (und eines kurzen Beines) ihr das ganze zukünftige Kabinett zusammen. Da war er wieder da. Der große Imperator. Die dunkle Macht im Hintergrund. Bald sollten wir erfahren, dass er die letzten sieben Jahre gar keinen Urlaub machte, sondern Großes im kleinsten Detail durchdachte und durchplante. Ich bin mir sicher, dass ihm dabei kleine Star-Wars-Spielfiguren dabei halfen, alles durchzuspielen. Und ich weiß auch, wer unter der schwarzen Maske steckte – Lord Duck Vader.

die taz

2) Hey! Du da!

Heute ist die zweite Macht der Dreifaltigkeit in der neuen polnischen Demokratie dran. Der polnische Präsident. Dieser hat in Polen eine erhebliche Macht und ist ein Teil der Gewaltenteilung. Der polnische Präsident heißt Andrzej Duda. Der Name klingt in den deutschen Ohren wahrscheinlich etwas komisch, denn der Spruch “Hey, du da!” ist nicht nett, ja gar etwas überheblich. Hätte bloß ein Germanist die Polen gewarnt. Nun ist aber zu spät. Im Wahlkampf gab er sich noch als der Andrzej “Dude” Duda. Er war wie ein Nachbar, den sich jeder wünscht. Einer, der gerne aushilft, der stets ein nettes Wort parat hat, der die Medikamente für einen Kranken besorgt, der alle Kinder der Nachbarschaft zum Kindergarten bringt und danach einen Kuchen backt, der ein fremdes Fahrrad repariert und es nicht mal sagt. Und neben seiner ganzen Menschlichkeit ist er noch ein Jurist. Wer heutzutage einen Juristen als Nachbar hat, kann ruhig schlafen. Ein Traum. Im Wahlkampf versprach er, neutral zu sein. Der erste unparteiische Präsident Polens. Der Präsident aller Polen, egal ob rechts oder links, mit oder ohne Kreuz. Ein Traum eben.

Doch nach der Wahl, die er nur knapp gegen den Altpräsidenten Bronisław Komorowski gewann, entpuppte sich der “Dude” als Wolf im Dudes-Pelz. Schlimmer noch, für einen echten Wolf hat es nicht mal gereicht, er entpuppte sich als der Schäferhund mit einer Fernbedingung. Seit dem unterschreibt er ferngesteuert unermüdlich neue Gesetze, die spät in der Nacht durchs polnische Parlament im Höchsttempo durchgejagt werden. Rastlos und ratlos. Die Gesetze liest er nicht mal, wie denn auch, nachts ist es ja dunkel. Doch wer im Dunkeln unterschreibt, wird früher oder später auch etwas gegen sich selbst unterschreiben. Im Kleingedruckten steht nämlich immer noch die Verfassung.

3) Beata, die Gedemütigte

Der dritte Pfeiler der polnischen, heiligen Gewaltendreifaltigkeit ist die Premierministerin Beata Szydło. Sie wurde für die neue Rolle der zukünftigen Regierungschefin von der PiS-Partei ausgesucht. Vor ihr regierte in Polen Ewa Kopacz, eben auch eine Frau. Nur eine Frau konnte ihr die Stirn bieten. Deswegen musste Szydło ran. Und sie war auch politisch blass genug, um den Jarosław Kaczyński im Hintergrund nicht zu stark zu werden. Denn der Vorsitzende duldet keinen anderen neben ihm. Wie eine Blume wuchs Beata Szydło im Wahlkampf über sich hinaus. Sie war für jeden da, hatte stets ein offenes Ohr, lächelte die guten an und strafte mit ihrem Blick die bösen. Die guten von den bösen zu trennen, brachte ihr die Partei PiS bei. Wie im Chor sang sie die PiS-Lieder brav mit, schonte ihre Stimme nicht und wurde zu Solistin erkoren. Dabei erwies sie ein ausgesprochenes Schauspielertalent. Das wurde ihr zum Verhängnis. Denn ohne es zu merken, spielte sie auf einmal in der Filmproduktion der PiS-Partei von Jarosław Kaczyński: “Beata, die Gedemütigte”. Eine unglaubliche Produktion, ein Nationalepos in drei Folgen:

Folge 1: “Beata, die Gedemütigte – im Urlaub”

Kaum war die angehende Premierministerin, müde von dem Wahlzirkus, in den wohl verdienten Kurzurlaub eingetaucht, gedemütigte sie Jarosław Kaczyński, der PiS-Vorsitzende, zum ersten Mal. Denn am zweiten Tag ihres Urlaubs stellte er das Kabinett der zukünftigen Premierministerin vor.  Sie war sichtlich verwundert, zuckte aber mit den Armen und machte eine erstaunte Miene zum bösen Spiel.

Der Streifen war ein Riesenerfolg. Ein Kassenschlager. Und so wurde der zweite Teil gedreht

Folge 2: “Beata, die Gedemütigte – beim Jackpot”

Kaum waren nach den Wahlen die ersten Hochrechnungen bekannt und alle Kameras auf die nun sicher gewählte neue Regierungschefin Beata Szydło gerichtet, stand sie vor dem Mikro und holte tief Luft ein, um sich bei den Wählern zu bedanken, gedemütigte sie Jarosław Kaczyński zum zweiten Mal. Denn die Luft, die sie tief einholte, konnte sie nur über die roten Ohren rauslassen. Der bis dahin im Untergrund lebende und im Wahlkampf unsichtbare Kaczyński sprang vor ihr ans Mikro und ergriff das Wort. Die vorbereitete Rede, im Jambus, musste sie diesmal nicht sichtlich verwundert, sondern im Herzen verwundet, entsorgen.

Auch diese Folge war ein Erfolg. Die Massen strömten in die Kinos. Es gab Fans, die sich die zweite Folge 26 Mal angeguckt haben. So musste die Folge 3 her!

Folge 3: “Beata, die Gedemütigte – der ungarische Patient”

Kaum waren die ersten Tiefschläge ihrer Kariere überwunden, da gedemütigte Jarosław Kaczyński Beata Szydło zum dritten Mal. Diesmal traf er sich mit seinem ungarischen Kompanen, einen gewissen Orban, zum konspirativen und konstruktiven Essen in einem weit von Warschau entfernten Lokal “Zum Grünen Schäfchen” (Zielona Owieczka) ((Zufall?)). Aus den Antworten auf die Fragen der Verwunderten über den Alleingang des PiS-Vorsitzenden musste sie erfahren, dass es in der Regierung eine Rollentrennung gibt und sie nur die Verwaltung macht, also zurück an den Herd muss.
Auch das war ein richtiger Straßenfeger. Der Film wurde Millionenfach legal im Kino und auch illegal im Netz angeguckt. Nun warten alle gespannt auf die nächsten Folgen von “Beata, die Gedemütigte”.

4) Spiele statt Brot

Wo ist heute die PO (Bürgerliche Plattform), die noch vor kurzem die mitregierende Partei war? Vor Scham im Erdboden versunken. Wie ein Kind schaut sie mit großen Augen und zuckt mit den schmalen Schultern: “Ich nicht, ich nicht, ich eß´ die Suppe nicht!”.  Sie schämt sich, und das zurecht. Sie schämt sich, weil sie für das Desaster mitverantwortlich ist.

Als Regierungspartei konnte PO die Charta der Grundrechte der Europäischen Union umsetzen. Stattdessen kämpfte sie um eine Autobahn oder eine U-Bahnlinie. Heute wäre die Charta wichtiger denn je. PO konnte auch die Macht und die Souveränität des Gleichstellungsbeauftragten stärken. Stattdessen dachte sie, mit einer Frau an der Regierungsspitze ist die Gleichstellung im ganzen Land da. So wurde der Gleichstellungsbeauftragte von der neuen rechtskonservativen PiS-Regierung einfach gleichgeschaltet. Zack, Schluss, Aus und vorbei – einfach abgeschafft. Auch konnte die PO die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen “entpolitisieren”. Sie hatte es in der Hand. Das wollte sie nicht. Zu bequem war die Situation, zu sicher fühlten sich die Regierenden. Nun werden die Medien von der PiS politisch umgekrempelt und “verparteilicht”. Die PO konnte mehr für die Benachteiligten der Transformation tun. Doch sie dachte, der Markt regelt es schon irgendwie. Das hat er auch getan, irgendwie, für sich. Stattdessen baute PO Tausende von kleinen Fußballfeldern und erfreute sich einer Fußball-EM im eigenen Land. Doch die Spiele dauern nicht ewig und das Täglichbrot ist schnell hart und damit die Probleme, die PO nicht löste. Diese versprach die neue Regierung zu klären. Die PiS versprach den Armen das Reichtum, den Arbeitslosen die Arbeit und den Arbeitenden die Rente. Es klang gut, zumindest für real ein Viertel der polnischen Bevölkerung (nimmt man das Wahlergebnis und die Wahlbeteiligung).

Nun regiert die PiS und die PO ist in der Opposition, still wie ein ein Mäuschen vor einem Kater. Neben ihr die nächsten Profiteure der PO-Scham – die “fortschrittliche Partei” (.Nowoczesna). Eine junge Partei, die erst wachsen muss, bis sie zu einer Opposition wird. Zeit hat sie allerdings sehr wenig. Die PiS hat bereits die Veränderungen in der polnischen Wahlordnung ins Spiel gebracht. Das natürlich möglichst so, dass die Opposition in der Zukunft gar nicht im Parlament sitzt. Wer auf lediglich (=schlimm genug) vier Jahre PiS setzte, kann schon bald mit einer belarussischen Realität konfrontiert werden, das böse Erwachen zum zweiten.  Dann braucht PiS allerdings jährlich olympische Sommer- und Winterpiele im eigenen Land, um die zunehmend unzufriedene Bevölkerung bei Laune zu halten.

5) Watsapp in der Kirche

Trotz heftiger Kritik der Internetaktivisten und Netznutzer boxte die rechtskonservative PiS-Regierung das neue Datenschutzgesetz durch. Eigentlich das Datenfreigabegesetz, denn ab Februar haben die Polizei und die Nachrichtendienste freie Bahn und können auch ohne richterlichen Beschluss und auf (Vor)Verdacht Daten aus dem Netz und der Kommunikation einsehen, speichern und auswerten. Es betrifft natürlich jeden. Nun kann jeder kleine Staatsbeamte mit Schnüfflerambitionen alles über den Staatsfeind Nummer 1 erfahren, ebenso alles über seine Nachbarin, die ihm kürzlich ins Auge fiel. Auch die sensiblen Berufe wie Ärzte, Juristen oder Journalisten sind davon betroffen. Damit sind auch ihre Patienten, Klienten und Informanten ebenso der neuen Datenlust ausgesetzt.

Es gibt allerdings in dem Gesetz eine Ausnahme: die Beichte in der Kirche. Diese darf nicht abgehört werden. Geschützt sind als einzige Berufsgruppe die katholischen Priester, die weder bei der Arbeit noch in der Freizeit (vorausgesetzt man hat Freizeit, wenn man für den Gott arbeitet) beobachtet und abgehört werden.

Was steckt dahinter? Seit Monaten wird gestritten, wie viele Polen noch in die Kirche gehen. Die Zahlen schwanken stark. Doch unabhängig von den Zahlen berichten Leute von immer weniger Polen in der Kirche. Vor allem die jungen Menschen meiden das Gotteshaus und den Gottesdienst. Es kann also sein, dass die Kirche so auf die Internetnutzer hofft, die nun in der Kirche einen nicht überwachten Raum suchen und ein nicht überwachtes Netz finden wollen. Highspeedinternetanschlüsse an den Beichstühlen sollen womöglich die polnische Kirche aus der Krise ziehen. Absurd? Ja vielleicht, aber auf jeden Fall absurd genug, um im jetzigen Polen wahr zu sein.

Wie dem auch sei. Die Kirche ist also der einzige geschützter Raum in Polen. Das gab es auch schon Mal. Unter den Kommunisten, in Zeiten der kommunistischen Einpartei-Diktatur. Kein gutes Zeichen für die polnische, parlamentarische Demokratie.

6) Polywood

Neuer Wind der Erneuerung soll auch durch die polnische Kultur wehen. Der neugekrönte Kulturminister heißt Piotr Gliński. Ein Professor der Soziologie. Bei der Eröffnungsfeier der Europäischen Kulturhauptstadt Wrocław2016 sagte er, er würde für eine ungezwungene Förderung der Kultur nach polnischen und christlich-europäischen Werten stehen. Dafür wurde er immerhin ausgebuht.

Bereits Wochen davor versprach er die polnische Nationalkultur zu fördern. Wie und was genau, hat er schon auch gesagt. Kurz nach seiner Ernennung protzte er mit der Idee, einen Nationalepos zu drehen. Einen imposanten Streifen nach einem Hollywood-Vorbild. Die heldenhafte polnische Geschichte und ihre heldenhafte polnische Nation soll im Vordergrund glänzen. Kein Oscar mehr für einen polnischen Film mit einem polnisch-jüdischen Hintergrund mehr. “Ida” darf nicht noch mal passieren. Nichts einfacher als das, dachte sich wohl der Kulturminister. Heldengeschichten in Polen gibt es wohl genug. Doch da könnte das Problem sein. Viele heldenhafte Motive wurden bereits verfilmt. Aufstände, Schlachten, Unabhängigkeitskriege. Ob da noch eine Heldentat übrig ist, scheint fraglich. Aber moment mal. Da gibt es noch einen Helden, der auf eine Verfilmung wartet – Jarosław Kaczyński. Ja das ist es. Jarosław Kaczyński gespielt von Jarosław Kaczyński. Sein schauspielerisches Talent bewies er bereits als kleiner Junge in einem Kinderfilm “Von zwei Jungs, die den Mond geklaut haben”. Ein Schauspieler ist er immer noch in einer einzigen Horrorshow auf der polnischen Politikbühne, im Parlament, auf der Straße in den Medien.

Vorschläge für die erste Staffel:

Teil 1 “Jarosław und seine sieben Zwerge”,

Teil 2 “Jarosław biegt rechts ab” und

Teil 3 “Jarosław, wie ich die Verfassung neuschrieb”

7) Poleposition

“Wir wollen mehr Polen in Polen!” – schreit die rechtskonservative PiS-Regierung und denkt dabei mit Entsetzen an die rückgängigen Geburtenraten. Das auserwählte (wozu auch immer) polnische Volk schrumpft. Der Feind wurde schnell erkannt: die von der Regierung davor eingeführte und bezuschusste in-vitro-Behandlung. In vitro war schon immer als Gotteslästerung von der polnischen katholischen Kirche bezeichnet. Auch einige PiS-Politiker nannten die in vitro Kinder gefühllose Kreaturen, unfähig eigene Familien zu gründen und eigene Kinder großzuziehen (kein Scherz).

So wurde nach der Machtübernahme der PiS-Partei das in vitro Verfahren aus dem Katalog der bezahlten Behandlungen gestrichen. Aber natürlich nicht ersatzlos. Für das so eingesparte Geld will die neue Regierung vor allem eins: aufklären. Stolz präsentierte der Vizegesundheitsminister Jarosław Pinkas die zwei wichtigsten Eckpunkte des neuen Geburtenmasterplans: Die Männer sollen keine engen Unterhosen tragen und  besser auf die Hygiene achten. Die Frauen sollen nun lernen, wie genau ihr Monatszyklus funktioniert, um erkennen zu können, wann sie schwanger werden können. So. Das war´s. Das war der Ersatz.

Endlich ein konstruktiver Vorschlag wie man den zehntausenden Männern und Frauen, die unter Unfruchtbarkeit leiden, hilft. Einfach weite Jogginghose anziehen, etwas “da unten” waschen und auf den richtigen Tag warten.

Wie wäre es auch mit einer Sexualpraktik, speziell für die polnischen Bedürfnisse und den polnischen Wettlauf um die gestiegenen Geburtenzahlen? Sex auf Polnisch, ganz im Sinne der neuen Regierung:

  1. Vor jedem Sex beten
  2. Nach jedem Sex beten
  3. Beim Sex beten

Soll das nicht helfen (aber eigentlich ist diese Methode schon ziemlich sicher) können sich die Paare an die katholischen Priester wenden. Erstens haben die polnischen Priester schon viele Kinder gezeugt und wissen sicherlich wie es geht, zweitens hatten sie bis jetzt beim Thema in vitro viel zu sagen. Notfalls können sie den PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński fragen. Er hat zwar keine Kinder und auch keine Frau, aber dafür eine Katze. Das macht ihn natürlich zu einem Experten auf jedem Gebiet.

8) Polnisches Pfeifen mit einem deutschen Akzent

Bei allen Bemühungen, die politisch-gesellschaftliche Lage in Polen den Deutschen zu erklären, scheitern wir stets an der Propaganda der polnischen rechtskonservativen PiS-Regierung. Wie sollen wir bloß die absurden und alltäglichen Beschuldigungen und Verleumdungen, wie die aggressive Sprache, wie den arroganten Unterton erklären?

Schwierig. Doch dann half der Zufall. Denn, ohne dass die Polen es auf dem Zettel hätten, haben die deutschen Handballer die EM in Polen gewonnen. Bei der Abschlußzeremonie wurde die polnische Premierministerin Beata Szydło ausgebuht und ausgepfiffen. Die Reaktion war schnell und typisch für die momentane polnische Rhetorik. Jacek Karnowski (Chefredakteur einer der PiS-Tuben) twitterte “Es sind nicht die polnischen, sondern die deutschen Fans, die pfeifen”. Woran macht er´s fest? – fragten sich viele. Die Antwort genauso absurd: “Am deutschen Akzent der Pfiffe!”
Und so absurd sieht es immer aus. Die Kritik an der polnischen Regierung gibt es offiziell nicht. Schon gar in den Nachrichten der gleichgeschalteten, öffentlich rechtlichen Medien in Polen. Und wenn die Kritik auf der Straße (oder eben in einer Sporthalle) passiert, dann kommt sie von den Volksfeinden, von den Kommunisten, von den Juden, von den Russen, von der alten Klicke oder von den …. die Palette der Feindbilder bei PiS ist schier unendlich groß – wir alle sind dabei, das ist sicher.

9) Einfach den Priester fragen

Wer in den letzten Monaten nach Polen schaute und voller Unverständnis den Kopfschüttelte, dem kann jetzt endlich geholfen werden. Die goldene Regel, wie man die Polen verstehen kann, brachte vor kurzem die rechtskonservative PiS-Abgeordnete Krystyna Pawłowicz. Sie sagte wortwörtlich: Jemand, der kein Katholik ist, kann die polnische Gesellschaft nicht verstehen (Ktoś, kto nie jest katolikiem, nie może zrozumieć polskiego społeczeństwa). D.h. im Umkehrschluss, nur ein Katholik kann die polnische Gesellschaft verstehen.

Damit sind die Spezialisten schnell gefunden – die polnischen katholischen Priester. Nach Pawłowicz wissen sie am besten wie ein Pole tickt. So verwundert es wenig, dass die katholische Kirche in Polen nicht nur von der Kanzel den Leuten erklärt, was sie an der Urne wählen sollen, sondern auch über die polnischen katholischen Medien. Dazu gehören neben  den katholischen Zeitungen und Zeitschriften vor allem der Radiosender “Radio Maryja” und der TV-Sender “Telewizja Trwam”. Vor den Wahlen machte die politische Agitation für PiS (Recht und Gerechtigkeit) rund 95% des “Radio Maryja”-Programms aus. Beide Sender gehören zum Medienimperium des polnischen Redemptoristenpriester Vater Rydzyk.
Jetzt nach den Wahlen ist der Zahltag. Die polnische Regierung will nun Vater Rydzyks Geschäftsideen mit über 5 Millionen Euro bezuschussen. Über Umwege wird es auch klappen. Wie gesagt, nur ein Katholik wird es verstehen. Und so wundert sich niemand, dass die Bürgerinitiative “Religionsfreie Schule” von der Regierung abgeschmettert wurde. Die PiS braucht auch in der Zukunft die “Polenversteher” und die wachsen auch in den polnischen Schulen, in denen Religion mehr Zeit einnimmt als Mathe, Physik oder Sprachen. Amen

10) Frische Stammbäume GmbH

Die führenden Politiker der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ertragen keine Kritik. Allergisch reagieren sie auf jeden Anschein einer Abweichung von der Linie des kleinen Diktators Jarosław Kaczyński. Wer Kritik äußert ist der Volksfeind schlechthin. Es gibt dabei zwei Formen von Volksfeinden: der innere und der äußere Volksfeind. Wenn die Kritik ein Pole äußert, ist er entweder von der alten politischen Klicke, oder ein Urenkel eines Kommunisten, oder ein Kind der alten Seilschaften, oder ein Mensch der schlechtesten Sorte. Bei kritischen Ausländern ist es viel einfacher, sie sind einfach nur “ein Deutscher”.

Dabei ist die eigentliche Herkunft, Funktion, Motivation unwichtig. Die Germanophobie der PiS macht es möglich. Dieses System zu verstehen, ist auch nötig, um die Reaktionen der PiS-Politiker auf Kritik von außen nachvollziehen zu können. Der Justizminister und Generalstaatsanwalt in Einem, Zbigniew Ziobro, sagte der FAZ, “die Deutschen” dürften keine Kritik an Polen äußern, weil sein Opa von einer Bombe im Zweiten Weltkrieg starb. Auch die Familien der anderen Politiker machen dieselben gegen Kritik immun. Der eine Vater diente in der Nationalarmee AK, die Tante kämpfte beim Warschauer Aufstand, der Onkel starb bei der Befreiung von Danzig. Je mehr tragische Schicksale um so besser. Je mehr Leid in der Familie, desto größer ist der Freibrief für die heutige Politik. Dabei laufen die PiS-Politiker um die Wette. Jeder will der größte Pole sein, jeder will die dramatischsten Familienereignisse vorweisen. Notfalls mit ausgedachten Fakten und herangezogenen Halbwahrheiten. Im Idealfall starb die gesamte Familie samt Urururururururopa in der Schlacht von Tannenberg bei Grunwald (1410) aus der Hand eines Kreuzritters mit einem schwäbischen Akzent. Wer so eine heroische Abstammung nicht vorweisen kann, begnügt sich mit dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg. Es würde niemanden wundern, wenn sich eigens darauf spezialisierte Firmen um das richtige Stammbuch kümmern würden. “Frische Stammbäume GmbH” z.B. Bestimmt eine gute Geschäftsidee. Ich sehe schon die Schlangen vor den Büros. Die vielen PiS-Politiker, die den Atem der Kritik und des Volkszornes bereits im Nacken spüren. Gleich vorne sehe ich den PiS-Politiker und Vorsitzenden der Justizkommission, mitverantwortlich für die Gleichschaltung des Verfassungsgerichtes, Stanisław Piotrowcz. Er war ein Funktionär der kommunistischen Partei, Staatsanwalt, der die Oppositionellen verhörte. Heute sagt seine Partei, er hätte so die Oppositionellen schützen wollen. Stasiopfer wissen wie das im Osten funktionierte. Stanisław Piotrowcz könnte jetzt “Frische Stammbäume GmbH” sicherlich gut gebrauchen.

(Ach so… noch nebenbei gemerkt, es gibt auch gute Deutsche, die von der polnischen Rechten sogar vor das im Krieg ausgebrannte Warschauer Schloss eingeladen werden, wie die Pegida-Aktivistin Tatjana Festerling am letzten Wochende.)

 

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