derschaukasten – Lena von Gödeke „The invisible hour“
Für ihr kuratorisches Projekt derschaukasten luden die Initiatorinnen Marijke Lukowicz und Hanne Hersch die Berliner Künstlerin Lena von Gödeke ein, den mobilen Ausstellungsraum zu bespielen.
Der Schaukasten ist das dritte Mal aufgestellt, diesmal im Club der polnischen Versager: Dort, wo sich alle Wege kreuzen, steht er als fremd anmutendes Hindernis im Raum und zwingt die Gäste des polnischen Kulturvereins zur Reaktion.
Die konzeptuell arbeitende Künstlerin greift in ihrer Arbeit „The invisible hour“ nur minimal in die Architektur des Schaukastens ein. In einer der beiden transparenten Wände des Kastens sind symmetrisch angeordnete Bohrungen angelegt, ähnlich der Sprechlöcher in den Trennscheiben von Schaltern in öffentlichen Einrichtungen. Auf subtile Weise wird der Schaukasten von der Künstlerin so in etwas Neues transformiert und gleichzeitig die Umgebung anders gedeutet.
Das Verhältnis zwischen dem leeren Inneren und dem äußeren Raum ist der Gegenstand von „The invisible hour“. Lena von Gödeke untersucht hier die Signalwirkung von bestimmten Mustern und Strukturen, die uns im urbanen Umfeld begegnen und zu Handlungen anregen – oder gar zwingen. Zwischen dem Nicht-Sichtbaren und dem klar Benennbaren entsteht hier ein Spannungsfeld, das durch die Assoziation und Reaktion des Betrachters mit unterschiedlichen Bedeutungen gefüllt werden kann.
Das Sprechtableau als Manifestation kultureller Konventionen nimmt hier nicht die Rolle eines Stellvertreters ein, sondern repräsentiert sich selbst. Die symmetrische Anordnung der Sprech- und Hörlöcher suggeriert eine nicht zufällige Bestimmung, einen bestimmten Zweck, und wirkt beinahe wie ein Symbol oder Piktogramm, ohne selbst Bild zu sein. Die Löcher in der kühlen, abweisenden Glasscheibe definieren jedoch nicht nur, sie sind auch die einzige Verbindung zwischen Innen- und Außenraum.
Eine solche Verbindung zweier Räume geht in unserer Erfahrung meist mit einer asymmetrischen Kommunikation einher. Im abgetrennten oder sogar uneinsehbaren Bereich hinter der Glasscheibe steht uns gegenüber eine Autoritätsperson, stellvertretend für eine nur durch die Trennscheine manifestierten Macht, die geschützt werden muss. Diese Distanz und Nicht-Begegnung macht den Menschen diesseits der Scheibe zum Bittsteller. Nicht selten muss er sich der Autorität der anderen Seite gänzlich unterordnen.
Wir kennen diese Situation von den Zeiten, als es noch Grenzen innerhalb Europas gab: Eine fremde Person fordert uns auf, uns zu identifizieren.
Die Identitätskontrolle als Akt der Machtausübung, Bewertung und Unterwerfung in einem System gewinnt in der gegenwärtigen politischen Situation zunehmend wieder an Aktualität. Uns wird wieder bewusst, wie sehr das Machtgefälle zwischen Davor und Dahinter die individuelle Existenz beeinflussen und beschränken kann, ohne dass die Schutzfunktion der Trennscheibe sich auch auf die andere Seite erstreckt.
In „The invisible hour“ ist der Raum, in den man sprechen kann, leer. Die Funktion der Scheibe wandelt sich und macht den Betrachter zur Autorität, die gesprochenen Worte sind fast unhörbar für andere – und damit frei. Nicht mehr die Reaktion des Gegenübers ist nun wichtig, sondern das eigene Handeln gewinnt an Bedeutung.